Sie ist unterwegs. Seit zweieinhalb Jahren. In Deutschland und ganz Europa. Ohne Handy, ohne eigenes Auto. Einen Koffer sucht man vergebens, ihre Habseligkeiten trägt sie in Tüchern, dem sog. über der Schulter. Die Metzgerin Marlene ist auf der Walz.
Auf der Walz in Walsrode
Über 15 Eintragungen in ihrem Wanderbuch belegen, in welchen Handwerksbetrieben in Deutschland Marlene seit 2021 gearbeitet hat. Bei der Fleischerei Bösche in Walsrode ist sie am vergangenen Montag aufgetaucht. „Wir waren uns sofort einig“, lacht Seniorchef Walter Bösche. „Marlene ist gleich mitgekommen zum Großmarkt, hat Fleisch zugeschnitten, Bratwurst und Schaschlik-Spieße gemacht.“ Eine Woche war die Wandergesellin bei Bösche, der sich zusammen mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen auf den Betrieb von Grillwagen spezialisiert hat. Geschlafen wurde im Gästezimmer bei Hannelore und Walter Bösche. Für Fortbewegung und Unterkunft sollen auf der Walz nämlich kein Geld ausgegeben werden. Für Marlene bisher kein Problem. „Man findet immer einen Platz zum Schlafen“, sagt die 32-Jährige. Und wie ist sie auf die Idee gekommen, auf die Walz zu gehen? „Während der Lehre hatte ich eine Doku über die Walz gesehen. Das hat mich fasziniert. Mehr über den Beruf erfahren, Reisen, neue Menschen kennenlernen. Das hat mich nicht mehr losgelassen.“
Nach einem Erstkontakt mit der Walz-Bewegung über das Internet, wurde sie zuhause in Feucht bei Nürnberg von der Bäckergesellin Helen abgeholt. Drei Jahre und einen Tag darf sie von da ab nicht dichter als 50 Kilomater an ihren Heimatort zurückkommen. Die ersten zwei, drei Monate sei man immer zu zweit unterwegs, erklärt Marlene. Die erste Reise ging nach Österreich, mitarbeiten in einer Schuhmacherei. Der Lohn: neue Wanderschuhe, die bis heute halten. Danach war sie in vielen unterschiedlichen fleischerhandwerklichen Betrieben in Deutschland unterwegs, unterbrochen von kurzen Tripps nach Frankreich, Schweden und Rumänien. „Am besten gefallen mir die kleinen Betriebe, die noch selber schlachten und eine enge Verbindung zur Landwirtschaft haben“, beschreibt die Wandergesellin, die vor ihrer Ausbildung bereits ein Studium im Bereich Landwirtschaft absolviert hatte, ihre Eindrücke. Ihr Ziel sei es, sich später selbständig zu machen. Davor soll es aber noch einmal ins Ausland gehen. Japan heißt das große Ziel. Bis es soweit ist, locken jedoch noch einige Orte in Deutschland. Heute hat sich die Wandergesellin wieder aufgemacht. In Richtung Krefeld, Nordrhein-Westfalen, das Fleischerhandwerk und neue Menschen kennenlernen.
Tradition: Wanderjahre
Die Walz oder auch Wanderjahre, Tippelei oder Gesellenwanderung genannt, ist eine alte Tradition in handwerklichen Zünften. Frisch gebackene Gesellen haben dabei die Möglichkeit, einzigartige Erfahrungen in ihrem Handwerk zu sammeln. Im Mittelalter gehörte eine Walz unter anderem zu den Voraussetzungen für jeden Gesellen, um zur Meisterprüfung antreten zu dürfen. Heute sind die Voraussetzungen und „Regeln“ einer Walz je nach Gewerk unterschiedlich. Eine Sache, die für alle gilt: Beim Antritt der Walz muss man die Gesellenprüfung bestanden haben, ledig, kinderlos und unter 30 Jahre alt sein.