In den vergangenen Jahren wird im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit verstärkt über die längere Nutzung von Produkten und die vollumfängliche(re) Nutzung von Rohstoffen diskutiert. Dies gilt auch für die Nutzung von Tieren für menschliche Zwecke. Anders als in vielen anderen Bereichen ist die ganzheitliche Verarbeitung von Tieren seit Jahrtausenden kulturell verankert. In unserer aktuellen Serie „Alles vom Tier“ beleuchten wir Traditionen, die über die reine Fleischverarbeitung hinausgehen. Den Anfang macht das Gerben von Häuten.
Gerben – Was ist das eigentlich?
Unter Gerben versteht man die Verarbeitung von rohen Tierhäuten zu Leder mit Hilfe von Gerbstoffen, die die Tierhaut wasser- und fäulnisbeständig machen. Die Gerbung läuft grundsätzlich in drei Phasen ab:
1. Entquellen des Kollagens,
2. Eindringen und Durchdringen des Gerbextraktes sowie
3. Bindung und Fixierung an der Hautfaser.
Davor und danach sind weitere Schritte notwendig, um schließlich das Leder in der gewünschten Form, Farbe und Festigkeit zu erhalten. Durch das Gerben wird die Struktur der Haut stabilisiert, indem die in der Haut enthaltenen Eiweißfasern fixiert, vernetzt und so in Leder umgewandelt werden. So entsteht aus der Tierhaut ein strapazierfähiges Material, das aufgrund seiner hervorragenden Eigenschaften vielfältig weiterverarbeitet werden kann.
Obwohl Leder durch das Gerben in seiner Struktur gefestigt wird, bleibt es weiterhin dehnbar. Besonders hervorzuheben ist auch die hohe Beständigkeit. Diese gilt sowohl für die Langlebigkeit des Materials als auch für die Form nach Kontakt mit Wasser und beim Erwärmen im nassen Zustand. Entscheidend dabei ist neben der Qualität der Rohware das angewandte Gerbverfahren.
Gerben heute – Gerbverfahren
Die Gerberei ist ein Handwerk mit langer Tradition. Im Laufe der Zeit haben sich verschiedene Gerbmittel und Gerbverfahren etabliert. Je nachdem, ob beim Gerben die Atome der eingesetzten Stoffe mit denen der Kollagenfasern fest gebunden werden, also eine echte chemische Reaktion stattfindet, unterscheidet man zwischen echter und unechter Gerbung. Bei letzterer werden die Stoffe nur in die Tierhaut eingelagert und können daher potentiell wieder ausgewaschen werden.
Echte Gerbung
Das jüngste Verfahren, das erst im 19. Jahrhundert entwickelt wurde, ist die Chromgerbung. Dabei wird – wie der Name schon sagt – mit Chrom, aber auch mit anderen Mineralsalzen gearbeitet. Weltweit werden ca. 75 – 80 % des Leders auf diese Weise hergestellt. Durch die sehr kurze Gerbdauer entsteht ein leicht zu verarbeitendes, geschmeidiges Leder.
Auch die vegetabile oder pflanzliche Gerbung zählt zu den echten Gerbverfahren. Dabei werden ausschließlich pflanzliche Stoffe wie Eichen- oder Fichtenrinde, Quebrachoholz, Tarahülsen, Olivenblätter, Rhabarberwurzeln oder Mimosarinde verwendet. Das auch als Loh- oder Rotgerbung bezeichnete Verfahren wird vor allem bei kräftigen Rinderhäuten angewendet und ergibt ein sehr festes, haltbares und robustes Leder. Dieses wird zum Beispiel für Schuhsohlen genutzt. Durch den Gebrauch entwickelt es seine charakteristische Patina.
Bei der synthetischen Gerbung werden die Gerbstoffe künstlich hergestellt und meist in Kombination mit der mineralischen oder pflanzlichen Gerbung eingesetzt. Ausschließlich synthetisch gegerbte Leder sind sehr empfindlich gegenüber Feuchtigkeit, Hitze und UV-Strahlung. Heute werden auch Kombinationsverfahren ohne synthetische Gerbstoffe eingesetzt, um z. B. die Gerbzeit zu verkürzen.
Unechte Gerbung
Wie bei der Chromgerbung wird auch bei der Alaun- und Weißgerbung auf mineralischer Basis gearbeitet. Alaunstein, ein Kalium-Aluminium-Salz, wird vor allem bei der Gerbung von Kleintierfellen eingesetzt. Das Leder ist eher hell und besonders weich.
Ein weiteres unechtes Gerbverfahren ist die Sämischgerbung. Dabei wird Fett oder Tran genutzt. Es wird hauptsächlich zur Herstellung von Leder aus Hirsch-, Reh-, Schaf- und Ziegenhäuten verwendet. Auf diese Weise gegerbtes Leder ist ebenfalls sehr weich und besonders geschmeidig. Ihm wird außerdem ein fast textiler Charakter nachgesagt. Leder aus Sämischgerbung kann sogar gewaschen werden.
Gerben – ein Handwerk mit langer Tradition
Die Gerberei hat in verschiedenen Kulturen eine lange Tradition. Die Konservierung von Häuten und Fellen mit Fett wurde bereits in der Steinzeit praktiziert. Die haltbarmachenden Eigenschaften von Alaun und gerbstoffhaltigen Pflanzen waren bereits im alten Ägypten bekannt. Darstellungen in Gräbern um 1600 v. Chr. zeigen u. a. die Herstellung von Leder. Auch in der Antike wurde gegerbt. Die Griechen nutzten vor allem die pflanzliche und die Fettgerbung. Die Römer verwendeten eine Vielzahl verschiedener Gerbstoffe wie Pinien-, Erlen- und Granatbaumrinde, Galläpfel und Eicheln.
Im Mittelalter hatten die Gerbereien bereits eine beachtliche Größe erreicht. Wegen des unangenehmen Geruchs und der „unreinen“ Tätigkeit – durch verunreinigte Häute steckten sich die Gerber leicht mit Milzbrand und anderen Krankheiten an – mussten sich die Gerber oft in eigene Viertel am Stadtrand, meist in Flussnähe, zurückziehen. Im Laufe des Mittelalters regelten schließlich Zünfte den Markt und die Technik der Gerberei, so dass sich ab dem 14. Jahrhundert die Bereiche der Lederherstellung und der Lederverarbeitung voneinander trennten und in der Folge spezialisierte Berufe entstanden. Auch heute ist Gerben noch von großer Bedeutung, denn Leder ist ein wichtiger Bestandteil in der Mode sowie in der Automobil- und Möbelindustrie.